Scope-3-Emissionsdaten: Mit Vorsicht zu betrachten

Im weiten Feld der Herausforderungen und Schwierigkeiten der Klimaanalyse aus Sicht der Investoren treten Scope-3-Emissionen hartnäckig als eines  der Haupthindernisse hervor: Die Daten sind unvollständig, unzuverlässig und in ihrer aktuellen Form unmöglich zu definieren, dass Dekarbonierungsziele und somit  Investitionsziele festgelegt werden können.  Die Unternehmen  verweisen auf  Schwierigkeiten bei der Berechnung und darauf,  dass diese Emissionen aufgrund ihrer indirekten Natur nicht in ihr  Verantwortungsbereich fallen. Auf der anderen Seite betrachten viele Experten  Scope-3-Daten als eine Art "Heiligen Gral", der endlich den komplexen  Kreislauf der Klimaanalyse  vervollständigen würde. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Bei Candriam ist unser Standpunkt klar: Obwohl Scope-3-Kohlenstoffdaten unverzichtbare Elemente der Klimaanalyse sind,  insbesondere um die Ausrichtung von Unternehmen auf die Ziele  des Pariser Abkommens zu bewerten, ist es wichtig, sich ihrer Grenzen bewusst zu sein, sei es kontextuell oder strukturell.

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Alix Chosson
Lead ESG Analyst - Environmental Research & Investments
Die Qualität und Zuverlässigkeit der Scope-3-Emissionen sind entscheidend für die Verbesserung der Klimaanalyse und die Integration von Klimaschutzüberlegungen in Investitionen

Scope-3-Emissionen: Wesentliche Elemente der Kohlenstoffanalyse eines Unternehmens

Scope-3-Emissionen sind indirekte Treibhausgasemissionen, die entweder in vorgelagerten (Lieferanten etc.) oder nachgelagerten (Vertrieb, Produktnutzung, End-of-Life-Management) Bereichen der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens anfallen.

Quelle: Greenhouse Gas Protocol

 

Obwohl diese Emissionen indirekt sind, ist es wichtig, sie zu berücksichtigen, da  Kohlenstoffprobleme oftmals nicht mit der Produktion eines Produkts selbst verbunden sind, sondern eher mit den Rohstoffen, aus denen es hergestellt wird, oder mit seiner Verwendung - Elemente, die nicht in den Scope-1 und Scope-2-Emissionen eines Unternehmens  berücksichtigt werden. Es ist wenig sinnvoll, lediglich nur die Scope-1 und Scope-2-Emissionen eines Ölunternehmens zu analysieren, wenn 90% der Emissionen, die mit Öl verbunden sind, nachgelagert zu den Betriebsaktivitäten auftreten, nämlich wenn das Öl in den  Motoren der Kunden verbrannt wird. Sich ausschließlich auf die Dekarbonisierung der Scope 1 und 2 zu konzentrieren, würde bedeuten, sich ausschließlich auf die Förderung von Öl durch das Unternehmen zu konzentrieren, und nicht auf das  Endprodukt selbst, das von Natur aus extrem kohlenstoffintensiv ist.

Bei der Betrachtung der Scope-3-Emissionen geht es keinesfalls darum, jedem Unternehmen die Emissionen zuzuordnen, für die es "verantwortlich" ist - ein komplexes und subjektives Unterfangen. Das Interesse der Investoren an Scope-3-Emissionen ist darauf zurückzuführen, dass sie für die Analyse der Risiken von Unternehmen und der langfristigen Widerstandsfähigkeit ihres Geschäftsmodells von entscheidender Bedeutung sind. Die kohlenstoffintensivsten Wertschöpfungsketten sind diejenigen, die die größten Anstrengungen unternehmen müssen, und dies wird sich auf alle Akteure in der Wertschöpfungskette auswirken. Die Analyse der Scope-3-Emissionen ist unerlässlich, um zu verstehen, wie sich ein Unternehmen in Bezug auf die Herausforderungen des ökologischen Wandels positioniert, welche Veränderungen für die Anpassung an eine kohlenstoffarme Welt erforderlich sind und welche Risiken und Chancen damit verbunden sind. Diese Faktoren sind wesentliche Elemente bei der Beurteilung der Relevanz langfristiger Investitionen, insbesondere in den kohlenstoffintensivsten Sektoren.

 

Die Grenzen der Berichterstattung von Scope-3-Daten 

Eine partielle Messung mit starken sektoralen Verzerrungen

Scope 3 ermöglicht zwar einen genaueren Einblick in die Emissionen, die durch die gesamte Wertschöpfungskette einer Aktivität oder Industrie verursacht werden, aber es gibt sehr starke sektorspezifische Verzerrungen - genauso wie bei den Scope-1 und Scope-2--Emissionen. Einige Branchen haben naturgemäß deutlich höhere Scope-3-Emissionen als andere, insbesondere in der Industrie – obwohl dies keine Garantie für die   Qualität ihrer Positionierung oder ihrer Klimastrategie ist. Dies gilt insbesondere für Investitionsgüter, die naturgemäß im Mittelpunkt industrieller Prozesse stehen und sehr hohe Scope-3-(nachgelagerte) Emissionen aufweisen. Dies gilt umso mehr für Anbieter von Investitionsgütern oder Lösungen zur Senkung des Energieverbrauchs ihrer Kunden, die einen Teil der CO2-Emissionen im Scope 3 im Zusammenhang mit dem Energieverbrauch ihrer Kunden haben. Obwohl diese Unternehmen im Herzen der Energieumwandlung unserer Industrien stehen, könnten sie aus den Portfolios von Investoren ausgeschlossen werden, die ihre Scope-3-Emissionen in ihren Investitionen reduzieren möchten, oder sogar dazu ermutigt werden, das Interesse an ihren emissionsintensivsten Kunden zugunsten von Sektoren und Aktivitäten zu verlieren, die bereits kohlenstoffarm - ein Unsinn für die Finanzierung des Übergangs!

 

Notwendige Fortschritte auf Unternehmensseite 

Die Veröffentlichung der Scope-3-Emissionen durch die Unternehmen ist nach wie vor schlecht und lückenhaft, was auf die Komplexität der Aufgabe und den Mangel an gemeinsamen Standards für die Berechnung der Emissionen zurückzuführen ist. Das GHG Protocol selbst lässt den Unternehmen bei der Definition ihrer materiellen Emissionen und der Berechnungsmethode viel Spielraum, was selbst innerhalb eines Sektors zu großen Unterschieden führt.

Nehmen wir zum Beispiel die Halbleiterhersteller, die ebenfalls im Mittelpunkt der Energiewende in der Industrie stehen. Als B-to-B-Vermittler müssen sie nicht über die CO2-Belastung ihrer Produkte gemäß dem GHG Protocol berichten. Viele Unternehmen sind der Meinung, dass sie nicht wissen können, wo und wie ihre Produkte verwendet werden - ein gutes Argument, wenn sie ihre Kunden nicht auch über ihre Scope-4-Emissionen informieren würden, die sogenannten "vermiedenen Emissionen". Im Klartext heißt das, dass man lieber über die positiven Kohlenstoffauswirkungen seiner Produkte kommuniziert, ohne eine vollständige Analyse der negativen Kohlenstoffauswirkungen zu haben. 

Es bleibt zu hoffen, dass die kommenden Regulierungen, insbesondere die CSRD (Corporate Sustainable Reporting Directive), mehr Kohärenz in die Klimaberichterstattung der Unternehmen bringen werden. Dies ist unerlässlich, damit die Investoren selbst zuverlässige Kohlenstoffdaten erhalten und weitergeben können.

 

... aber auch auf der Seite der Datenanbieter 

In der Regel werden die Emissionsdaten von den Unternehmen freiwillig beim Carbon Disclosure Project (CDP) veröffentlicht und anschließend von den Datenlieferanten gesammelt und ggf. weiterverarbeitet. In der Praxis berichten nur sehr wenige Unternehmen vollständig. In diesem Fall werden ihre Scope-3-Emissionen mithilfe von statistischen Modellen "geschätzt", die in den Datenbanken zahlreiche methodologische Verzerrungen beinhalten.

Zunächst berücksichtigen diese Schätzungen nicht die Besonderheiten der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens oder seiner Endmärkte. OEMs für Elektrofahrzeuge können somit die gleichen "nachgelagerten" Scope-3-Emissionen haben wie der Durchschnitt der OEMs für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor! Außerdem werden, wie bei allen statistischen Modellen, extreme Daten oft eliminiert. Das bedeutet, dass in einigen Branchen die wenigen Unternehmen, die ihre Scope-3-Emissionen ehrlich und genau berechnen, von statistischen Analysen als " Ausreißer " eingestuft werden können, und Emissionen haben, die weit über dem Branchendurchschnitt liegen, der ihren Peers zugeschrieben wird, die nichts berichten. Dieses System ermutigt die Unternehmen nicht, umfassende Daten zu veröffentlichen.

Die mangelnde Zuverlässigkeit, Kohärenz und Stabilität der Scope-3-Daten erschwert die Aufgabe der Investoren: Wie können Ziele auf Portfolioebene festgelegt werden?  Insbesondere für konzentrierte, aktiv verwaltete Portfolios mit einer starken Klimapositionierung, die die Auswahl von   Unternehmen mit  differenzierten Positionen im Vergleich zu ihren Wettbewerbern erfordern.  

 

Bei der Reallokation von Kapital in den ökologischen Wandel ist die Qualität der Scope-3-Daten eine notwendige - aber nicht hinreichende - Bedingung

Die Qualität und Zuverlässigkeit von Scope-3-Emissionen sind entscheidend für die Verbesserung der Klimaanalyse und die Integration von Klimaüberlegungen in Investitionen . Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir bei diesem Thema gemeinsam Fortschritte machen: Unternehmen, Investoren, Datenanbieter. Wir müssen die Unternehmen weiterhin dazu ermutigen, vollständig und transparent über ihre Scope-3-Emissionen zu berichten und gegebenenfalls Scope-3-Ziele in ihre Dekarbonisierungspläne aufzunehmen. 

Andererseits werden selbst vollständige Scope-3-Daten immer nur  ein Indikator unter vielen sein, um die Klimapositionierung eines Unternehmens oder  Portfolios zu analysieren. Die Klimaanalyse, insbesondere die Bewertung der Ausrichtung  auf die  Ziele des Pariser Abkommens, wird auch in Zukunft eine weitaus komplexere und grundlegendere Aufgabe sein als der Vergleich von Kohlenstoffdaten. Dies unterstreicht den Aufwand für einen echten ökologischen Wandel. Es liegt also im Interesse des Investors, sich mit Experten zusammenzutun!

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