
Die Optik der Resilienz
Auf den ersten Blick strahlt das aktuelle Kreditumfeld Stabilität aus:
- Die Renditen bleiben sowohl in den USA als auch in Europa auf hohem Niveau und bieten Anlegern sowohl bei Investment Grade (IG) als auch bei High Yield (HY) ein attraktives Carry.
- Das fundamentale Umfeld hat sich bislang als robust erwiesen
- . Die Ergebnisse des ersten Quartals waren im Großen und Ganzen stabil, und obwohl noch keine Klarheit über das zweite Quartal besteht, sind die Ausfallquoten niedrig geblieben, und die Rating-Migration hat keine alarmierenden Trends gezeigt.
- Die technischen Aspekte sind gleichermaßen konstruktiv. Nach den Abflüssen rund um den "Liberation Day" zu Beginn dieses Jahres sind die Kapitalströme mit Macht zurückgekehrt und haben nicht nur frühere Verluste wettgemacht, sondern diese sogar noch übertroffen. Bei den IG-Krediten wurde der Rekordabsatz von den Anlegern größtenteils gut aufgenommen, während der Absatz bei den HY-Anleihen zurückhaltend blieb, was die Spreads natürlich stützte.
- Die Zentralbanken haben ein unterstützendes Umfeldgeliefert. Die Europäische Zentralbank hat ihre Geldpolitik entschieden gelockert, während die US-Notenbank bereit zu sein scheint, ihren seit langem erwarteten Lockerungszyklus einzuleiten, da sich die Inflation nun einem Niveau nähert, das mit einer vorsichtigen Zinssenkung vereinbar ist.
- Die Fiskalpolitik hat zusätzlich Rückenwind geliefert: Die USA setzen weiterhin auf umfangreiche staatliche Unterstützung durch das "Big Beautiful Bill", während Deutschland ein bedeutendes Konjunkturpaket vorgeschlagen hat. Oberflächlich betrachtet, könnte das Wachstum durchaus positiv überraschen. Warum sich also Sorgen machen?
Selbstzufriedenheit angesichts von Komplexität
Hinter der oberflächlichen Ruhe verbirgt sich ein Dickicht an Unsicherheiten, das die Märkte allzu bereitwillig ignorieren. Dazu gehört vor allem der anhaltende Zollkrieg, eine ungelöste geopolitische Bruchlinie, die weiterhin einen langen Schatten wirft. Da die rechtliche Tragfähigkeit der Zölle noch nicht geklärt ist und es immer noch keine Einigung zwischen den USA und China gibt, besteht nach wie vor eine große Unsicherheit im Zusammenhang mit Handelskonflikten, insbesondere unter einer Regierung, die einseitig über Änderungen von Bedingungen und Vereinbarungen entscheiden könnte. Diese Ungewissheit wirkt sich insbesondere auf die Inflation aus - ein zentrales Anliegen der US-Notenbank -, die nach wie vor den unvorhersehbaren Dynamiken der Zollpolitik ausgeliefert ist.
Während der Konsens immer noch zur Lockerung tendiert, ist die Rhetorik der Fed zunehmend uneinheitlich. In der Zwischenzeit ist die politische Einmischung - insbesondere der Druck von Präsident Trump auf die nominell unabhängige Fed - nicht unbemerkt geblieben und hat die geldpolitischen Aussichten noch unberechenbarer gemacht.
Außerdem sind die viel gepriesenen fiskalischen Anreize möglicherweise weniger wirksam als die Schlagzeilen vermuten lassen. In den USA werden mit einem großen Teil des Pakets lediglich bestehende Steuersenkungen verlängert, anstatt der Wirtschaft neues Kapital zuzuführen. Unternehmen, die bereits mit hohen Refinanzierungskosten und politischer Ungewissheit zu kämpfen haben, werden ihre Investitionsausgaben unter diesen Bedingungen wahrscheinlich nicht erhöhen.
Geografische Differenzierung
Eines der hartnäckigsten Missverständnisse über Kreditmärkte ist die Annahme, dass sie einheitlich, homogen und weitgehend synchronisiert sind. Viele Anleger neigen dazu, von "Credit" als einer einzigen Anlageklasse zu sprechen und dabei Geografien, Sektoren, Laufzeiten und sogar Instrumente in einen Topf zu werfen. In Wahrheit sind die Kreditmärkte alles andere als monolithisch. Sie sind komplex, fragmentiert und voller Dispersion und bieten eine reichhaltige und abwechslungsreiche Landschaft, die eine sorgfältige Auswahl und Kalibrierung erfordert.
Die regionale Diversifizierung innerhalb der High-Yield-Märkte bietet Anlegern eine attraktive Chance, da sich die Euro- und US-HY-Segmente in fundamentalen Kennzahlen, Bewertungen und technischen Faktorenerheblich unterscheiden. Ihre Divergenz schafft Spielraum für eine aktive Allokation zwischen den beiden Märkten, die es den Anlegern ermöglicht, eine zusätzliche Performance aus dem globalen High-Yiel-Universum zu erzielen. Beide Märkte bieten zudem eine breite Diversifikation und sektorale Vielfalt: Der US-amerikanische Markt für Hochzinsanleihen ist deutlich tiefer und stärker auf den Energiesektor ausgerichtet, während das Euro-Pendant stärker in Sektoren wie dem Automobilsektor vertreten ist. Darüber hinaus kann die regionale Segmentierung durch die makroökonomischen Bedingungen und die Dynamik der Kapitalströme beeinflusst werden, was zusätzliche Performancequellen erschließen kann. Zusammengenommen ist die dynamische Allokation zwischen Euro- und US-High Yield nicht nur ein Mittel zur Risikobalancierung dar, sondern auch einen entscheidenden Treiber für Mehrwert in der Portfolio-Konstruktion..
Die Fundamentaldaten sprechen derzeit für Europa. Auf den Euro-Kreditmärkten war der Rating-Drift positiver, und es gab mehr Heraufstufungen als Herabstufungen. Die Rising Stars - Emittenten, die von HY zu IG wechseln - übertreffen die Fallen Angels, die den umgekehrten Übergang vollziehen. Darüber hinaus hat Euro HY einen höheren Anteil an Schuldtiteln mit BB-Rating als die USA, wo der Anteil an Schuldtiteln mit B-Rating und darunter höher ist. Der Verschuldungsgrad ist in Europa im Allgemeinen niedriger, und die Generierung von Free Cashflow bleibt solide, was insgesamt ein gesünderes Kreditbild ergibt.
Technische Faktoren bestärken diese Ansicht. Euro-IG-Kredite haben bedeutende Zuflüsse verzeichnet, da die Investoren beginnen, von US-Kreditsegmenten zu europäischen umzuschichten. Gleichzeitig blieb die Emission im Euro HY-Segment relativ verhalten, was die Marktdynamik durch den geringeren Angebotsdruck unterstützte.
Derzeit gibt es jedoch wenig Grund, eine Übergewichtung von Euro-High Yield gegenüber US-High Yield beizubehalten, da die Bewertungen der entscheidende Faktor sind. Während Euro HY Anfang Juli noch vergleichsweise günstig waren, hatten sich die Spreads bis Ende August deutlich verengt, so dass ein Großteil der relativen Attraktivität verloren ging. Heute ist der Unterschied zwischen den beiden Märkten nur noch marginal, und da die Absicherungskosten gesunken sind, hat sich auch der Renditevorteil, der einst Euro-HY begünstigte, verringert. Infolgedessen ist keines der beiden Segmente derzeit ein zwingender Grund für eine übergewichtige Positionierung auf Bewertungsbasis.
Jenseits der Geographie: Differenzierung auf Sektorebene
Die regionalen Unterschiede sind jedoch nur ein Teil des Puzzles. Die Auswahl des Sektors ist entscheidend. Die verschiedenen Sektoren reagieren unterschiedlich empfindlich auf makroökonomische Trends, geopolitische Verschiebungen und konjunkturellen Druck.
- Die Sektoren TMT (Technologie, Medien und Telekommunikation) und Gesundheitswesen sind in einem volatilen Umfeld tendenziell widerstandsfähiger, während zyklischere Branchen wie die Automobilindustrie und der Einzelhandel anfällig für Veränderungen in der Verbrauchernachfrage, der Handelspolitik und Unterbrechungen der Lieferketten bleiben.
- Der Energiesektor, der stark von den Rohstoffpreisen abhängt, wird derzeit durch ein schwächeres makroökonomisches Umfeld und niedrigere Ölpreise herausgefordert.
- Der Verpackungssektor hingegen bietet aufgrund seines oligopolistischen Charakters (hoher Konzentrationsgrad und Preismacht) einzigartige Möglichkeiten.
Auch die Kapitalstruktur spielt eine Rolle: Der Fall von Financial Debt
Die Kapitalstruktur ist eine weitere Ebene der Selektivität. Innerhalb des Schuldenstruktur eines einzelnen Emittenten haben sich nachrangige Schuldtitel und hybride Instrumente im aktuellen Umfeld hervorgetan. Diese Instrumente bieten oft höhere Renditen ohne ein entsprechend höheres Kreditrisiko, insbesondere wenn sie von Unternehmen hoher Qualität begeben werden. Für Investoren, die sich mit der strukturellen Komplexität auskennen, bieten solche Positionen ein überzeugendes Risiko-Rendite-Profil.
Nachrangige Bankanleihen in Europa stellen derzeit eine attraktive Anlagemöglichkeit dar, da sie Renditen von über 5 % bieten [1] - ein Carry-Niveau, das mit dem von europäischen Hochzinsanleihen im BB-Segment vergleichbar ist. Die Anlageklasse wird durch solide Fundamentaldaten gestützt, wobei die Banken eine robuste Eigenkapitalrendite, starke Kapitalpuffer und gesunde Zinsdeckungsquoten aufweisen. Darüber hinaus ist das Emissionsvolumen nach wie vor moderat und wird vom Markt gut absorbiert, was die anhaltende Nachfrage der Anleger widerspiegelt. Nachrangige Bankschuldverschreibungen bieten somit eine überzeugende Brücke zwischen Investment-Grade- und High-Yield-Krediten, die Qualität mit einem höheren Renditepotenzial verbinden.
Während Kreditmärkte weiterhin durch selektive Stärken und zugrunde liegende Unsicherheiten navigieren, sollten Investoren die Expertise erfahrener Kreditinvestment-Profis nutzen, um attraktive Chancen – wie im europäischen Kreditmarkt – zu identifizieren. Die Sommerpause, oft geprägt von geringerer Marktliquidität und potenziell erhöhter Volatilität, unterstreicht die Bedeutung professioneller Beratung. Experten können Investoren einen strategischen Vorteil verschaffen und ihnen helfen, ihre Anlageziele auch unter herausfordernden Marktbedingungen zu erreichen.
Das Argument für Selektivität
In einer Welt, in der die Unterstützung durch die Zentralbanken nicht mehr allgegenwärtig ist und die Kreditbedingungen zunehmend von idiosynkratischen statt von systemischen Faktoren bestimmt werden, müssen die Anleger ihre pauschalen Ansätze für die Kreditvergabe aufgeben. Die Phase der "steigenden Flut hebt alle Boote" ist vorbei; die Streuung ist wieder da, und damit auch die Notwendigkeit, geschickt zu selektieren.
In der neuen Ära der Kreditinvestitionen steht nicht mehr das breite Beta-Exposure im Vordergrund. Stattdessen kommt es auf eine gezielte Auswahl von Regionen, Sektoren, Laufzeiten, Ratings und Instrumenten an.
Aktive Manager mit starken Research-Kompetenzen sind besonders gut positioniert. Sie können Fehlbewertungen identifizieren und gezielt nutzen. Durch geschickte Portfolioausrichtung profitieren sie vom relativen Wert einzelner Sub-Assetklassen.
Selektiv zu sein ist nicht mehr optional, sondern unerlässlich. Eine sorgfältige Kalibrierung des Engagements - über verschiedene Regionen, Sektoren, Laufzeiten und Strukturen hinweg - ist der beste Weg zu stabilen und beständigen Kreditrenditen. In diesem Umfeld ist die Differenzierung nicht nur ein Merkmal des Marktes, sondern die Strategie schlechthin.
[1] Quelle: Candriam, Bloomberg, Daten vom 27/08/2025, Bloomberg Contingent Capital EUR Index