Geldpolitik der Zentralbanken – transatlantische Kluft

Die US-Notenbank (Fed) schwenkte bei der letzten Sitzung des Offenmarktausschusses in diesem Jahr am 15. Dezember auf eine restriktivere Haltung um. Im Median sind die Ausschussmitglieder jetzt bereit, im Jahr 2022 einen neuen Zinserhöhungszyklus zu beginnen. Auf der anderen Seite des Atlantik hält die Europäische Zentralbank (EZB) dagegen an ihrer expansiven Geldpolitik fest, während sich die Eurozone offenbar weiter von der Vollbeschäftigung entfernt. Beim aktuellen Stand der Dinge ist vor Mitte 2023 nicht mit einer Anhebung der kurzfristigen Zinsen durch die EZB zu rechnen.

Die restriktivere Haltung der Fed – interessiert dies die Märkte überhaupt?

Die Markterwartungen richten sich auf leicht erhöhte BIP-Wachstums- und Inflationsraten im ersten Halbjahr 2022. Im Laufe des Jahres dürften das Wachstum, die Arbeitslosigkeit und die Inflation dann allmählich nachlassen und sich eher im Rahmen der langfristigen Ziele der Zentralbanken einpendeln.

Nach der gestern angekündigten Verdoppelung des aktuellen Drosselungstempos ist eine erste Zinserhöhung bis Juni in den Bereich des Möglichen gerückt. Im weiteren Verlauf des Jahres 2022 dürften dann weitere Zinserhöhungen folgen. Einige rechnen sogar bereits im März mit einem ersten Zinsschritt, denn immerhin hat Fed-Chef Jerome Powell darauf hingewiesen, dass zwischen dem Ende der Drosselung und der ersten Zinserhöhung keine Wartezeit nötig sei. Damit deutet der Medianwert des „Dot Plot“ der US-Notenbank per Ende 2022 jetzt auf drei Zinserhöhungen im nächsten Jahr hin.

Die US-Notenbank fährt offenbar jetzt einen Kurs der Inflationsbekämpfung und scheint zuversichtlich, dass das solide Wachstum während der nächsten Jahre anhalten wird.

Die längerfristigen Einschätzungen zum Ende des Zinszyklus weichen jedoch voneinander ab.

Bis zum 15. Dezember waren die Märkte den Prognosen der Fed für 2022 und 2023 vorausgeeilt. Die Zentralbank rechtfertigte diese Erwartungen, indem sie ihre im „Dot Plot“ angedeuteten Prognosen zum angemessenen Mittelwert der Fed Funds Rate Ende 2022 änderte.

Die Marktzinsen liegen indes mittlerweile unter diesen Niveaus, insbesondere für 2024. Das könnte bedeuten, dass die Anleger 1) entweder sehr zuversichtlich sind, dass es der Fed gelingt, die Inflation zu bekämpfen, oder 2) glauben, dass sich das Wachstum im Jahr 2024 deutlich verlangsamen wird.

Diese Entwicklungen werden aufmerksam beobachtet, um die Renditekurve und das langfristige Nominalzinsniveau einzuschätzen. Die Medianwerte der Zinsprognosen per Dezember 2023 und 2024 liegen jetzt deutlich über der aktuellen Nominalrendite 10-jähriger Anleihen.

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Flexibilitätsmantra der EZB

Die EZB zeigt sich nach wie vor zuversichtlich, die Inflation langfristig im Zaum halten zu können. Die Zentralbank bekräftigte ihre Prognose für die Kernrate des Verbraucherpreisindex 2023 und 2024 mit 1,8 %, obwohl das Ziel für 2022 angehoben wurde.

Die Märkte reagierten recht verhalten auf diese Meldungen, was möglicherweise auf den enttäuschenden Gesamtumfang des Wertpapierkaufprogramms (APP) zurückzuführen war, das um 90 Mrd. EUR aufgestockt wurde. EZB-Präsidentin Lagarde bekräftigte jedoch die moderate Ausrichtung der Zentralbank.

Insbesondere für 2022 und 2023 scheint die Bank das Wachstum ziemlich optimistisch einzuschätzen, und für 2024 prognostiziert sie ein reales Wachstum von knapp 2 %. Diese Entwicklung wird ihrer Ansicht nach durch eine starke Binnennachfrage unterstützt werden. Ohne die Pandemie würde das Umfeld eine moderatere Inflation und ein stärkeres Wirtschaftswachstum begünstigen. Doch im Augenblick behindern die verschiedenen Varianten das Wachstum und heizen die Inflation an.

Unserer Meinung nach muss die EZB ihre Geldpolitik flexibler steuern, um sowohl den „Next Generation“-Plan der EU als auch die Energiewende zu berücksichtigen.

Wie erwartet, wird die EZB ihr Pandemiekaufprogramm PEPP bis März 2022 beenden. Die Erlöse aus den im Rahmen des PEPP gekauften Anleihen werden jedoch mindestens bis Ende 2024 wieder angelegt und die Kapitalregel wird flexibler gehandhabt, um die geldpolitische Transmission zu erleichtern, insbesondere in Griechenland. Darüber hinaus wird sie ihre Käufe im Rahmen des APP im 2. Quartal um 20 Mrd. EUR und im 3. Quartal um 10 Mrd. EUR anheben.

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Längere Zeit höhere Inflation … und steilerer Anstieg?

Wir erwarten, dass sich Angebot und Nachfrage vor dem Hintergrund des überdurchschnittlichen Wachstums in den großen Industrieländern allmählich anpassen werden. Die starke Nachfrage traf auf pandemiebedingte Engpässe, was die Preise in die Höhe trieb. Zumindest in den Wintermonaten dürfte die Inflation noch unangenehm hoch bleiben.

Obwohl wir davon ausgehen, dass die Inflationserwartungen im Jahr 2022 den Höhepunkt erreichen, dürfte große Unsicherheit über ihre Entwicklung im 1. Halbjahr 2022 herrschen. Dies könnte die Geduld der Zentralbanken auf die Probe stellen, die Volatilität an den Anleihenmärkten anheizen und sich auf Aktienfaktoren auswirken. Dank der weltweiten haushaltspolitischen Pläne dürfte das Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr stabil bleiben.

Cross-Asset-Ansatz: 2022 vor Anleihen bevorzugt, Flexibilität ist jedoch wichtig

Vor diesem Hintergrund dürften die Renditen der 10-jährigen US-Treasury zwischen 1,5 % und 2,5 % schwanken, was eine kurze Duration rechtfertigt. Diese Volatilität dürfte dazu führen, dass die Renditekurve abwechselnd steiler und flacher wird. Das wird von der Besorgnis über die Inflation und vor allem von der Reaktion der US-Notenbank abhängen. Da sich die US-Wirtschaft der Vollbeschäftigung nähert, gehen wir, wie bereits erwähnt, davon aus, dass die Fed ihre Drosselung bis März 2022 abschließt und in den folgenden Monaten die Zinssätze anhebt.

Wendepunkte im Zinszyklus der Fed sind eine sehr schwierige Zeit. Daher beurteilen wir Kredittitel neutral. Die Spreads sind sehr eng und der mögliche Anstieg der langfristigen Renditen gebietet ein vorsichtiges Vorgehen. Europäische Kredittitel könnten jedoch davon profitieren, dass die EZB im Vergleich zu anderen Zentralbanken eine weniger restriktive Geldpolitik beibehält. Die Finanzierungsbedingungen bleiben vorerst relativ locker, da die langfristigen Renditen nicht wesentlich steigen. In diesem Umfeld werden wir 2022 voraussichtlich beginnen, Aktien zu bevorzugen. Aus regionaler Sicht sind wir in Europa und China leicht übergewichtet und aus der Sektor Perspektive sind wir in Banken und Rohstoffen übergewichtet. Wir halten strukturelle Engagements in thematischen Anlagebereichen wie Gesundheit, Klimaschutz und Innovation, insbesondere in technologieorientierten Aktien. In den kommenden Jahren wird das Verhältnis zwischen Produktivität und Löhnen eine wichtige Rolle spielen. Die möglichen mittelfristigen Auswirkungen der globalen Pandemie (Achtung, neue Covid-Varianten) auf das Wachstum und die Inflation müssen aufmerksam beobachtet werden. Am Ende wird das Verhalten der langfristigen realen Renditen ein entscheidender Faktor für die Aktienbewertungen sein.

  • Nadège Dufossé, CFA
    Nadège Dufossé, CFA
    Global Head of Multi-Asset, Member of the Executive Committee

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