Das Tauziehen zwischen Haushalts- und Währungspolitik!

Es ist eher ungewöhnlich, dass ein französischer Staatspräsident die europäische Währungspolitik frontal angreift. Als Hüterin der geldpolitischen Orthodoxie erfüllt die EZB ein allseits bekanntes Mandat: Sie muss die Inflation unabhängig von der Fiskalpolitik in der Nähe von 2% halten. Vergangenen Montag erklärte jedoch Emmanuel Macron: „Es beunruhigt mich, dass zahlreiche Experten und bestimmte Akteure der europäischen Währungspolitik uns erklären, dass die europäische Nachfrage gebrochen werden müsse, um die Inflation besser einzuschränken. Da muss man sehr vorsichtig vorgehen.“

Eine solche Analyse ist durch die wirtschaftliche Lage in Europa voll und ganz gerechtfertigt: Die europäische Wirtschaft könnte schon 2023 in eine Rezession fallen. Aber ist eine aggressive Straffung der Währungspolitk gerechtfertigt, wenn die Inflation weitgehend hausgemacht ist?

Die EZB folgt, wie dies üblich ist, den Handlungen der Fed, ohne es zu wagen, von diesem Weg abzuweichen (lesen Sie hierzu „Du désir mimétique des banquiers centraux“), und steht kurz davor, ihren Leitzins um 75 Basispunkte anzuheben und gleichzeitig bald ihre Bilanz zu verringern. Emmanuel Macron betont – zu Recht –, dass sich die Lage in Europa von jener in den USA unterscheidet: Während die USA im Zustand der Überhitzung mit einer hohen Inflation im Imland zu kämpfen haben,  rührt die Inflation in Europa aktuell vor allem von der Energiekrise her, denn der Verbraucher bereits unter dem Preisanstieg leidet. Könnte solch eine verspätete geldpolitische Straffung jedoch einen Fehler in der Geldpolitik darstellen? Die EZB könnte mit ihren Maßnahmen im ungünstigen Moment in der Tat Risiken einer finanziellen Instabilität auslösen und die Befürchtungen von 2008 und 2011 wecken. Gleichzeitig könnte dies auch bestimmte Pensionsfonds und das Immobiliengewerbe beeinträchtigen.

Am Tag nach diesem Artikel scheint das ganzseitige Interview mit François Villeroy de Galhau in der Financial Times eine scharfe Antwort auf die Kritik des französischen Präsidenten zu sein. Eine überraschende Aussage des Vorsitzenden der Banque de France, der – ebenso ungewöhnlich – die Haushaltspolitik ... des Vereinigten Königreichs kommentiert!

Villeroy betont die Bedeutung der Kohärenz zwischen Haushalts- und Geldpolitik und erinnert daran, dass die nicht finanzierte Steuersenkung in Höhe von 45 Milliarden, die die britische Regierung verabschiedet hat, einen umfassenden Anstieg der Zinsen verursachte, was zur finanziellen Instabilität beiträgt. Im Gegensatz zu Emmanuel Macron zeigt sich das Mitglied des EZB-Rats also beunruhigt über die expansive Steuerpolitik und erklärt, wenn Sie eine Geldpolitik mit einer antiinflationären Haltung haben und Zweifel bestehen, ob Ihre Haushaltspolitik die Inflation schüren wird, dann stehen Sie wirklich der Gefahr gegenüber, einen Teufelskreis anzutreiben“.[1]

Als eine direkte Antwort auf die Kritik von Emmanuel Macron erinnert er somit an die Bedeutung der Unabhängigkeit der Zentralbank und kritisiert die haushaltspolitischen Unterstützungsmaßnahmen, die das Inflationsrisiko schüren und letztendlich den Anstieg der Zinsen stärken könnten. Ein Anleihenstress, der, wie wir gesehen haben, Regierungen zum Fall bringen kann. So stark auseinandergehende Sichtweisen zwischen Zentralbankmitgliedern und Regierungen waren in den Industrieländern nur selten zu beobachten. Dies veranschaulicht ein Tauziehen, das böse enden könnte.

Zwischen Inflation und Rezession hat die EZB sich gemäß ihrem Auftrag entschieden: Sie wird die Zinsen weiter anheben – denn es geht um ihre Glaubwürdigkeit. Angesichts der rasenden Inflation haben die Regierungen wiederum von der haushaltspolitischen Orthodoxie abgelassen. Um die Rezession zu vermeiden, werden sie die Verbraucher weiter unterstützen. Diese beispiellose Situation birgt vor allem das Risiko, die Zinsen noch weiter in die Höhe zu treiben. Denn mit einer niedrigeren Nachfrage nach Anleihen (da die Zentralbanken die Ankäufe verringern) und einem steigenden Angebot (aufgrund der nicht finanzierten Maßnahmen) besteht das Risiko einer Aufwärtsspirale. Der Fall des Vereinigten Königreichs könnte sich in Europa wiederholen, es sei denn, es wird ein Kompromiss gefunden und eine bessere Koordination organisiert. Andernfalls wird der Markt der Friedensrichter in diesem Konflikt über die Presse sein. Und die Zentralbank wird in letzter Instanz mit dem Ankauf von Anleihen eingreifen.

Der Wille der Unabhängigkeit kann sich manchmal als ruinöses Unterfangen entpuppen.

 

[1] “Wenn man eine Währungspolitik mit einem antiinflationären Kurs verfolgt und Zweifel daran hat, ob die Fiskalpolitik die Inflation anheizen wird, dann läuft man Gefahr, einen Teufelskreis zu nähren.”

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