Wert vs. Wachstum: wo stehen wir jetzt?

Wie wir bereits Ende November 2021 in Unser Artikel antizipiert und geschrieben haben, zogen die höheren langfristigen Zinssätze eine deutliche Stilumschichtung nach sich. Die Nachfrage nach Value-Papieren bei gleichzeitigen hohen Gewinnmitnahmen auf Wachstumstitel führte allein im Monat Januar zu einer Outperformance der Substanzwerte von 12 %. Wo stehen wir jetzt? Ist es angemessen, bei den Value-Werten bereits von einer „Überhitzung“ zu sprechen?

Bei den langfristigen Zinssätzen für 10-jährige US-Staatsanleihen rechnen wir weiterhin damit, dass sich das Zinsniveau bei 2 % bis 2,5 % einpendeln wird. Was die Aktienstrategie der Federal Reserve betrifft, lautet die erwartete Abfolge:

  • März 2022: Einstellung der Aktivakäufe.
  • Ab März 2022: erste Leitzinserhöhungen im potenziellen Umfang von +150 Bp. bereits in diesem Jahr.
  • Ab Sommer: Beginn der Bilanzverkürzung per Nichtverlängerung ihrer Anleihen am Ende der Laufzeit (oder per Verlängerung in nur geringem Umfang).

Bei den Zinssätzen der 10-jährigen deutschen Staatsanleihen rechnen wir mit einem Höchststand von 0,5 %. Die EZB, die lange Zeit zögernder reagierte als die US-Notenbank, gab eben bekannt, dass sie bis zum Jahresende ihre Wertpapierkäufe stark drosseln wolle. Im Euroraum ist deshalb wohl Anfang 2023 oder gar Ende 2022 mit einer ersten Leitzinserhöhung zu rechnen.

Den Höhepunkt der Inflation dürften wir bis zum Frühjahr erleben, was ab dem Sommer an den Märkten für Beruhigung sorgen sollte.

Es bleibt nun zu beobachten, in welchem Umfang die großen Pensionsfonds, die beim derzeitigen Zinssatz „Nettostaatsanleihenkäufer“ sind (in den USA bei über 2 % sogar noch stärker) die Maßnahmen der Zentralbanken ausgleichen können. Die Exposure in Aktien dieser Riesen, deren Stoßkraft fast stärker ist als die der Fed, ist derzeit zu stark, und sie sind auf der Suche nach risikolosen Renditen.

Für das Wirtschaftswachstum werden bei einer fortgesetzten Normalisierung der langfristigen Zinssätze die Staatsdefizite aufgrund der daraus resultierenden Belastung der Schuldenkosten schneller als erwartet zu einem echten Problem werden. Die Staaten müssten sich dann einer strengeren Disziplin unterwerfen. Darüber hinaus dürften die Märkte auf jeden Fall für 2023 die Auswirkungen der Fed-Maßnahmen auf den beschleunigten Wirtschaftsabschwung antizipieren.

Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass die nachlassende Pandemie und das steigende Vertrauen der Anleger vielleicht nicht genügen, um die Auswirkungen der Fed-Maßnahmen abzufedern.

Was die Märkte betrifft, so sollten wir auch bei einer fortgesetzten Erhöhung der Zinssätze für 10-jährige US-Anleihen in den nächsten Wochen davon ausgehen, dass der Großteil der Value-/Wachstumsanpassung bereits hinter uns liegt. Im Rahmen eines schwächeren Wirtschaftswachstums erscheint es uns darüber hinaus sinnvoll, sich bei Werten zu repositionieren, die aufgrund des hohen Potenzials ihres Segments oder aufgrund ihrer Innovativität schneller Einnahmen und Gewinne erzielen werden. Diese Unternehmen dürften auch aus diesem Kontext Vorteile ziehen können, weil sie mit Lösungen für zahlreiche Megatrends (Energiewende, neue Gesundheitstechnologien, Digitalisierung, Automatisierung etc.) ein intrinsisches Wachstum erzielen können.

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Relative Performance INDEX MSCI EUROPE WACHSTUM NETTORENDITE / INDEX MSCI EUROPE WERT NETTORENDITE, Basis 100, über 5 Jahre. Quelle: Bloomberg per 31.01.2022.

Obwohl die Value-/Wachstumsanalyse in den nächsten Wochen für die richtige Einschätzung entscheidend sein dürfte, halten wir es für unerlässlich, die nächste Debatte vorwegzunehmen, die im Jahresverlauf 2022 schnell im Mittelpunkt stehen dürfte: defensive oder zyklische Werte? Die Frage „Wachstum oder Value?“ wird wohl von der Frage „defensive oder zyklische Werte?“ abgelöst, sowohl im Universum der Wachstums- als auch im Universum der Value-Titel.

  • Geoffroy Goenen
    Geoffroy Goenen
    Head of Fundamental European Equity Management

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