Frühlingsschmelze an den Immobilienmärkten?

Die Märkte für Immobilien und Immobilieninvestitionen waren fast das gesamte Jahr 2023 über „eingefroren“. Die Immobilienbewertungen unterliegen einem hohen Druck, und Refinanzierungen werden schwieriger. Unter ihrem Mantel aus Eis jedoch stellen sich die Immobilieninvestoren und -verwalter schon auf die wärmere Saison ein.

 

Immobilien unter Druck

Das Geschäftsvolumen befindet sich angesichts des rapiden Zinsanstiegs im freien Fall und bringt es derzeit in Europa kaum auf 20 % des Vorpandemiestands.[1] Aus Mangel an Preisinformationen auf dem Markt haben Bewertungsunternehmen und Gutachter ihre Immobilienwertschätzungen hauptsächlich auf Zinsänderungen gestützt. Das Ausmaß und die Volatilität der Fremdkapitalkosten hat in den meisten Sektoren zu einem deutlichen Anstieg der Kapitalisierungssätze und damit zu einer Korrektur der Schätzwerte nach unten geführt. Der Umfang dieser Korrekturen konnte dabei durch die vergleichsweise starken Leasing-/Mietmärkte und durch Indexierungsvereinbarungen, die das Nettobetriebsergebnis sogar erhöht haben, geringfügig abgefedert werden.

Trotz des marktweiten Preiseinbruchs ist das Ausmaß des Rückgangs in den einzelnen Teilsegmenten unterschiedlich. In einigen Segmenten ist die Talsohle bereits erreicht; bei anderen ist mit einem weiteren Preisrückgang zu rechnen.

Savills zufolge lagen die Mieterträge für Spitzenobjekte in Europas zentralen Geschäftsbezirken in der ersten Jahreshälfte 2023 bei etwa 4,5 %, was einer Erhöhung um 86 Basispunkte gegenüber der Vorjahresperiode entspricht.

Der Büromarkt im Großraum Paris hat sich in jüngster Zeit in zwei unterschiedliche Richtungen entwickelt: Im Zentrum der Metropole gingen die Bewertungen im mittleren einstelligen Bereich zurück, in ihren Randbezirken dagegen seit Mitte 2022 im mittleren zweistelligen Bereich – wenn auch ausgehend von unterschiedlichen Basiswerten. In der Défense erreichten die Nettoanfangsrenditen durchschnittlich 6,5 %, während die Mieten für Spitzenobjekte in den Geschäftsvierteln der Pariser Stadtmitte Renditen von rund 3 % einbrachten.

 

 

Die Vermieter von Einzelhandelsobjekten mussten in Europa größere Immobilienbewertungsverluste schultern als die meisten anderen Segmente. Die Bewertungen von Shopping-Centern im Premiumsegment sind in Europa seit dem ersten Halbjahr 2022 um nur 3 % gefallen, während sie seit 2018 um 15 % zurückgegangen waren, und bieten seit H1 2023 nun Nettoanfangsrenditen von etwa 5,5 %.

 

 

Refinanzierungsbedarf hoch, Kreditgeber jedoch zurückhaltend

Die Verlangsamung des Transaktionszyklus hat unter anderem einen sprunghaften Anstieg der Refinanzierungsaktivitäten mit sich gebracht. Investoren mit Refinanzierungsbedarf haben sich dabei in erster Linie an private Kapitalgeber gewandt. Unter den Banken ist die Kreditvergabebereitschaft drastisch zurückgegangen, seit die bankaufsichtlichen Änderungen ihren Tribut fordern. In Reaktion auf die mangelnde Nachfrage nach vorrangigen unbesicherten Schuldtitel haben die Emittenten den Banken Sicherheiten geboten.

Was Refinanzierungen über börsennotierte Schuldtitel angeht, hatten die meisten Immobilienemittenten seit dem 2. Quartal 2022 praktisch keinen Zugang zum Markt für vorrangige Anleihen, wie die Grafik zeigt. In jüngster Zeit zeichnen sich „Green Shoots“ ab – einige große Emittenten wie Covivio und Unibail-Rodamco-Westfield sind auf den Primärmarkt zurückgekehrt, und das Interesse an diesen Neuemissionen unter den Anlegern ist groß.

Angesichts eines derart hohen Refinanzierungsbedarfs ist die Sicherung der Liquidität zur obersten Priorität geworden, wozu auch die Kürzung von Dividenden, das Verstreichenlassen der Call-Termine von Hybridanleihen und die Veräußerung von Vermögenswerten gehören.

 

Fundamentaldaten - Langfristige Perspektive

Die operative Performance des Sektors wird durch langfristige Faktoren gestützt. Die Mieten in Europa beginnen zu steigen, die Leerstände sinken. Bei den Managern, die über die attraktivsten Objekte verfügen, die z. B. besonders umweltfreundliche Merkmale sowie eine gute Einrichtung und Lage aufweisen, ist die Nachfrage der Nutzer hoch und steigend. Die Mieten wurden durch Indexierungsklauseln in den Mietverträgen und geringe Leerstände bei qualitativ hochwertigen Anlagen gestützt, und in einigen Sektoren konnten wir einen erheblichen Anstieg der Erträge verzeichnen. Dies hat die Auswirkungen der höheren Kapitalisierungssätze reduziert, und es zeigen sich erste Anzeichen für eine Stabilisierung der Immobilienbewertungen.

Was manche überraschen mag, die Fundamentaldaten für den deutschen Wohnungsmarkt sind so gut wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Auf dem größten europäischen Markt (gemessen an den Investitionen) herrscht derzeit das größte Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage seit mindestens einer Generation. Wohnungssuchende sehen sich mit extrem niedrigen Leerstandsquoten konfrontiert. Das geringere Angebot, doppelt eingeschränkt durch höhere Bau- und Finanzierungskosten, kann die aufgrund der drastischen demografischen Entwicklungen steigende Nachfrage nicht decken und vergrößert so die „Lücke“ auf dem deutschen Wohnungsmarkt.

Der Trend zum Home-Office hat sich auf den Markt für Büroflächen ausgewirkt, im Rahmen dessen die Mieter nach nachhaltigen Gebäuden und ganz allgemein nach „besseren Quadratmetern“ suchen. Diese Flucht in die Qualität hat dazu geführt, dass Spitzenimmobilien mehr Widerstandskraft zeigen als sekundäre Objekte.

Die Nachfrage nach Logistikimmobilien ist trotz der Normalisierung nach dem pandemiebedingten Anstieg nach wie vor hoch. Angesichts des Mangels an geeigneten Standorten, der Schwierigkeiten bei der Einholung von Baugenehmigungen, des Wachstums des E-Commerce und dem Bedarf an Onshoring in den Lieferketten wird dieses Wachstum voraussichtlich auch längerfristig anhalten.

Einkaufszentren, aber auch der konventionelle Einzelhandel, leiden seit langem unter dem E-Commerce und wurden obendrein von der Pandemie besonders in Mitleidenschaft gezogen. Die entsprechenden Bewertungen wurden schon gesenkt, bevor die Zinsen überhaupt zu steigen begannen. Die Fundamentaldaten der Einkaufszentren in Europa profitieren von der Erholung nach der Pandemie. Da die Mieterträge hier höher sind als in anderen Segmenten, reagieren sie weniger empfindlich auf Zinserhöhungen (solange sich die operative Performance nicht verschlechtert).

 

Kapitalmärkte

Angesichts knapper Kapitalressourcen wittern gut dotierte Immobilieninvestoren eine Chance. Eine Handvoll wichtiger Marktakteure hat Kapital aufgenommen, so dass in zahlreichen Immobiliensegmenten erhebliche Mittel für Investitionen zur Verfügung stehen. Darüber hinaus erwägen einige Immobilieneigner mit höherer Risikobereitschaft den Wiedereinstieg in einige Teilsektoren, die während der letzten Phase des Aufschwungs einen hohen Fremdkapitalanteil aufgewiesen haben – insbesondere in Deutschland und Schweden. Hier sehen wir bereits erhebliche Rekapitalisierungsmöglichkeiten.

Die cleversten Immobilienunternehmen nutzten die niedrigen Zinssätze, um ihre Laufzeiten zu sehr niedrigen Kosten zu verlängern. In dem neuen Zinsumfeld hat sich der Schwerpunkt auf die Nettoverschuldung und die Zinsdeckungsquoten verlagert.

Daraus könnten sich Chancen für verschiedene Anlageklassen ergeben. Die Aktienmärkte haben Immobilienunternehmen schwer bestraft. Dementsprechend sind einige dieser Unternehmen, die einen geringeren Verschuldungsgrad und/oder längere Laufzeiten haben, besonders attraktiv. Dies gilt erst recht, wenn sie auch noch über einen soliden Betrieb mit freiem Cashflow verfügen.

Bei börsennotierten Anleihen könnten Renditen von 5 bis 6 % in Verbindung mit einem üblichen Emissionsvolumen das Jahr 2024 zu einem Schlüsseljahr machen – insbesondere, wenn sich die Zinssätze stabilisieren und die Märkte wieder anziehen. Diese Art von Umfeld dürfte qualitativ hochwertigen Emittenten mit gesunden Bilanzen und einer guten operativen Performance entgegenkommen.

Wir rechnen mit Chancen für Private Capital, vor allem, wenn die Immobilienwerte in der Nähe ihrer Talsohle angekommen sind. Das Zusammenspiel von Zinssätzen und Spreads hat die potenziellen Renditen für vorrangig besicherte Darlehen auf „equity-like“ angehoben. Es kommt nur äußerst selten vor, dass europäische Private-Debt-Investoren einerseits so gut bezahlt werden und andererseits ein so offenes Spielfeld vorfinden.

Die Eiseskälte auf dem Markt ist überstanden. 

 

Fazit

Der Immobilienmarkt scheint zwar zu Beginn des Winters noch „eingefroren“, seine wichtigsten Akteure jedoch befinden sich keineswegs im Winterschlaf. Der Markt bietet risikobewussten Teilnehmern Chancen. Kapitalgeber und Investoren können die Unsicherheit und Volatilität der letzten beiden Jahre jetzt zu ihrem Vorteil nutzen, wenn sie mit der gebotenen Vorsicht vorgehen.

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[1] Real Capital Analytics.

  • Lucie Hamadache, CFA
    Credit Analyst
  • René Clérix, CFA
    Senior Institutional Portfolio Manager

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