Kann man davon ausgehen, dass der Healthcare-Sektor im kommenden Jahr eine defensive Rolle spielen wird?

2023: Ein enttäuschender, außer Atem geratener Sektor

Das Gesundheitswesen gilt in der Regel als defensiver Sektor, der stabiles, sequenzielles Wachstum liefert. Dennoch enttäuschte der Bereich im Jahr 2023 – und zwar selbst ungeachtet all der Probleme, mit denen die Welt konfrontiert war, von der Inflation über den Konjunkturabschwung bis hin zum Krieg. Dafür gibt es einige Gründe:

  • Die starke Fokussierung der Investoren auf KI und Technologie im Allgemeinen in diesem Jahr hat die meisten anderen Sektoren aus dem Rampenlicht gedrängt.
  • Die generelle Underperformance der Small und Mid Caps hat den innovationsorientierten Biotechnologiesektor empfindlich getroffen.
  • Schließlich hat auch der Abbau der Lagerbestände unter den Kunden der Life-Science-Anbieter (zu denen etwa die Hersteller von Biopharmazeutika und die biomedizinische Forschung zählen) einige Unternehmen erheblich belastet. Das Umfeld im Anschluss an die Pandemie hat offensichtlich diejenigen Unternehmen bestraft, die ihren Umsatz aufgrund ihres direkten oder indirekten Exposures gegenüber Impfstoffen steigern konnten und jetzt Schwierigkeiten haben, vergleichbare Ergebnisse einzufahren.

 

Wie sehen wir die Entwicklung für 2024?

Der Gegenwind legt sich in vielerlei Hinsicht: Einerseits wird die Vergleichsbasis der Covid-Pandemie im Jahr 2024 immer einfacher, und andererseits signalisieren viele Life-Science-Unternehmen, dass sich der Abbau der Lagerbestände unter den Kunden einpendelt und wieder mehr Aufträge eingehen.

Zudem bietet die  Underperformance aufgrund des  makroökonomischen Hintergrunds derzeit attraktive Möglichkeiten im Hinblick auf aktuelle Bewertungen. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis des Teilsektors Pharmazeutika weist mit 15 auf eine Unterbewertung hin und liegt unter seinem langfristigen Durchschnitt[1].  Dies ist besonders bemerkenswert mit Blick auf die Tatsache, dass die grundlegenden Unternehmenskennziffern wie die Innovation nach wie vor intakt sind. Vor allem die Biotechnologie- und Gesundheitsbranche hat ein starkes Engagement für Innovationen gezeigt, wie die stetig wachsende Zahl der Medikamente in der Entwicklungspipeline belegt. Von 5.995 im Jahr 2001 ist diese Zahl bis zum Jahr 2023 auf beeindruckende 21.292 angestiegen. Auch die Zulassungsrate der FDA spiegelt diese Dynamik wider: Allein im Jahr 2023 werden mindestens 60 neue Medikamente zugelassen - ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu den 39-53 Zulassungen der vorangegangenen vier Jahre (letzte Daten vom 8. Dezember 2023)[2].

 

Quelle: Pharma R&D Annual Review 2023, Pharma Intelligence UK Limited, a Citeline company, Januar 2023

 

Andere gute Nachrichten begünstigen ebenfalls die Diagnose:

  • So hatte sich das harte Vorgehen der chinesischen Regierung gegen die Korruption in Krankenhäusern und deren Ökosystemen negativ auf einige in China exponierte Unternehmen ausgewirkt, da die Krankenhäuser sämtliche Bestellungen von Neugeräten und sogar von Verbrauchsmaterialien einstellten bzw. einschränkten, bis die Untersuchungen abgeschlossen waren. Auch dieser negative Effekt dürfte sich bis Anfang 2024 wieder in Rückenwind (Nachholaufträge) umkehren.
  • Ein großer positiver Faktor (zumindest für den Healthcare-Sektor) ergibt sich aus unserem Konjunkturszenario: So sind in vielen Regionen wie China und einigen europäischen Ländern bereits Anzeichen einer Abschwächung zu erkennen; gleichzeitig erwarten wir jedoch auch, dass sich die US-Wirtschaft im Jahr 2024 in einem langsameren Rhythmus bewegen wird, da die hohen Zinssätze weiterhin eine konjunkturelle Belastung bleiben. Die Inflation nimmt bereits ab, und wir erwarten, dass diese „Normalisierung" anhält und die Aussicht auf Zinssenkungen der FED im Jahr 2024 sowie sinkende langfristige Zinssätze eröffnet. Die Kombination aus geringerem Wachstum bei niedrigeren Zinssätzen ist eine sehr attraktive makroökonomische Mischung für den Healthcare-Sektor, da das Healthcare-Geschäft im Vergleich zu anderen Branchen viel weniger von wirtschaftlichen Bedingungen abhängig ist - die Nachfrage nach Behandlungen besteht immer, unabhängig von wirtschaftlichen Bedingungen. Niedrigere Zinsen werden das Investorenvertrauen in noch nicht profitabel, aber innovative Biotechnologieunternehmen stärken.

Fieberhafte Aktivität ist derweil für die GLP-1-Arzneimittelkategorie Adipositas zu erwarten. Adipositas (Fettleibigkeit), eine globale Herausforderung für das öffentliche Gesundheitswesen, betraf im Jahr 2020 mehr als 40[3]% der Erwachsenen in den USA. Bis 2035 wird dieser Anteil voraussichtlich auf 50 % steigen. Die Folgen der Adipositas sind gravierend und führen zu einer Vielzahl von damit verbundenen Gesundheitsaufwendungen. Arzneimittel zur Adipositas-Behandlung waren in der Vergangenheit oft von Sicherheitsbedenken und Marktrücknahmen überschattet, was zu Skepsis gegenüber therapeutischen Optionen führte. Ansätze, die auf Änderungen der Lebensweise basieren, erwiesen sich allerdings oft als unzureichend für nachhaltigen Gewichtsverlust. Erste therapeutische Optionen waren durc Frühere therapeutische Optionen waren von Nebenwirkungen abgelenkt, wiesen geringe Rezeptorspezifität auf, führten zu Dopaminersatz und somit zu Sucht sowie zu Verhaltensnebenwirkungen. Nach 100 Jahren voller gescheiterer Bemühungen erleben wir mit der Zulassung einer neuen Arzneimittelklasse, die auf Glukagon-ähnliches Peptid-1 (GLP-1) abzielt, einen echten Paradigmenwechsel. Zum ersten Mal überhaupt werden wirksame Medikamente zur Gewichtsabnahme mit akzeptabler Toleranz angeboten, nachdem sie sich bereits als Diabetes-Medikamente bewährt haben. Angesichts der positiven Endpunktergebnisse zu Co-Morbiditäten wächst unter den privatwirtschaftlichen Versicherungsunternehmen und den staatlichen Versicherungsträgern die Zahl der Befürworter der Kostenübernahme. Im klinischen und regulatorischen Umfeld liegt der Schwerpunkt auf der Sicherheit sowie auf greifbaren Endpunkten wie kardiovaskulären Ereignissen und Mortalität, wobei die GLP-1-Therapien bisher ihre Wirksamkeit bewiesen haben.

 

Der Sektor könnte jedoch an einigen hartnäckigen Infekten laborieren

Einige Teilsektoren der Healthcare-Branche gerieten jedoch unter Druck, da die Anleger befürchten, dass die Nachfrage nach kardiovaskulären Geräten oder orthopädischen Implantaten parallel zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheit sinken könnte. Unserer Meinung nach sind GLP-1-Medikamente wirksam und markieren einen großen Fortschritt bei der Behandlung von Adipositas. Gleichzeitig scheint es übertrieben, Medizintechnikunternehmen den Untergang zu prophezeien, da kardiovaskuläre und andere Probleme vielfältige Ätiologien haben und auch das Ergebnis jahrzehntelangen Übergewichts sind. Daher sehen wir in ihnen eine Kaufgelegenheit für die betroffenen MedTech-Unternehmen. Darüber hinaus sind stark adipöse Patienten von bestimmten Operationen ausgeschlossen. Einen weniger extremen Body-Mass-Index (BMI) zu erlangen, könnte es diesen Patienten ermöglichen, beispielsweise eine künstliche Hüfte zu erhalten. Folglich können sich die Ergebnisse von GLP-1 auf Medizintechnikunternehmen auch positiv auswirken. Bei näherer Betrachtung der Einzelheiten aus der Ergebnisstudie von Novo Nordisk zeigt sich, dass der gesundheitliche Nutzen für US-Patienten weniger ausgeprägt war. Die genauen Gründe dafür sind noch nicht geklärt, stehen aber möglicherweise in Verbindung mit den sehr hohen BMI-Ausgangswerten bei Studienbeginn. Auch hier scheint die Annahme übertrieben, dass kardiovaskuläre und andere Erkrankungen verschwinden würden, wie einige Reaktionen am Aktienmarkt vermuten lassen.

 

Sind die US-amerikanischen Wahlen gut für das soziale Wohl?

Angesichts der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA (sowie der Tatsache, dass auch einige Sitze im Kongress zur Neuwahl stehen) besteht das Risiko negativer Kommentare auf der Kostenseite des Healthcare-Sektors – ein Thema von eindeutiger Relevanz. Unserer Ansicht nach könnte es diesmal anders verlaufen, da das Gesundheitswesen dieses Mal nicht der Schauplatz des Gefechts zu sein scheint. Bei den Wahlen geht es eher um den internationalen Handel, die Sicherheit und allgemeine soziale und gesellschaftliche Fragen, weshalb wir bei diesen Wahlen weniger Angst vor negativer Rhetorik haben.

Dies bedeutet nicht, dass die Gesundheitskosten im Allgemeinen nicht im Mittelpunkt stehen.

Präsident Biden unterzeichnete im 2022 den Inflation Reduction Act [Gesetz zur Bekämpfung der Inflation], der auch Bestimmungen für Medicare enthält. Im Rahmen dieses Gesetzes können Centers for Medicare & Medicaid Services (CMS) nun die Preise von Arzneimitteln aushandeln. Das CMS wählt aus den Top 50 der qualifizierten Originalpräparate die Medikamente mit den höchsten Gesamtausgaben aus. Die kumulative Liste beginnt mit 10 Medikamenten aus Teil D (die zu Hause verabreicht werden) im Jahr 2026, 15 aus Teil D im Jahr 2027, 15 entweder aus Teil B (die im Krankenhaus verabreicht werden) oder aus Teil D im Jahr 2028 und 20 aus beiden im Jahr 2029.

Die verhandelbaren Arzneimittel sind Markenmedikamente oder Biologika ohne Generika/Biosimilars, die je nach Medikamententyp erst nach 9-13 Jahren auf dem Markt zugelassen werden können. Es sollte erwähnt werden, dass Medikamente ohnehin bereits mit dem Verlust der Exklusivität (LOE) oder mit Patentklippen konfrontiert sind. Daher ist der Schutz von 12 Jahren für Biologicals, der im Biden-Plan angeboten wird, sowieso nahe am effektiven Patentschutz nach Beginn der Vermarktung, den ein neues Medikament de facto genießt. Letztendlich ist die Wirkung des Plans also eher begrenzt.

Darüber hinaus legt der Inflation Reduction Act (IRA) auch Faktoren fest, die zu Ausschlüssen von Preisverhandlungen führen, wie beispielsweise Arzneimittel für seltene Krankheiten, Arzneimittel, für die Generika/Biosimilars verfügbar sind, oder auch Arzneimittel von Kleinunternehmen aus dem Bereich der Biotechnologie.

Die genauen Auswirkungen des Plans bleiben aufgrund verschiedener Faktoren ungewiss, darunter Unklarheiten in der Verhandlungssprache und anhängige Gerichtsverfahren in Pharma-Angelegenheiten. Angesichts der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen ist die Umsetzung selbst dieses Plans im Jahr 2026 alles andere als sicher.

Zu Beginn des Jahres 2024 wird nach wie vor große Unsicherheit herrschen. Dementsprechend werden die Anleger im Healthcare-Sektor bei der Auswahl ihrer Aktien und der Zusammenstellung ihres Portfolios erneut solides Urteilsvermögen beweisen und gründliche Analysen vornehmen müssen. Wir sind überzeugt, dass Innovation und Unternehmen, die den nächsten Durchbruch in der Arzneimittelentwicklung schaffen, den besten Schutz gegen jede politische Einmischung darstellen. In den USA wird Innovation stets belohnt. Und tatsächlich schützt der Plan von Joe Biden die Innovationstätigkeit, indem er neu zugelassene Arzneimittel für einen beträchtlichen Zeitraum von jeder Preisverhandlung ausschließt, wodurch die Ursprungsunternehmen und Innovationen schaffenden Unternehmen Visibilität erlangen.

Wir gehen davon aus, dass der Healthcare-Sektor im Jahr 2024 mehr Resilienz zeigen wird. Unabhängig von der letztendlichen Entwicklung des Sektors stehen wir Ihnen selbstverständlich unterstützend zur Seite, damit Ihre Portfolios bestmöglich von diesen Chancen profitieren. Mit unseren besten Wünschen für ein gesundes 2024!

 

 

 

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[1] Quellen: Bloomberg, Durchschnitt 2018-2022, Index: MSCI World Pharmaceuticals
[2] New Drugs at FDA: CDER’s New Molecular Entities and New Therapeutic Biological Products | FDA und Biological Approvals by Year | FDA
[3] Lobstein, T., Brinsden, H. & Neveux, M. (2022). World obesity atlas 2022
„Obesity Exceptionalism: It’s Different This Time. Framing the Opportunity and Challenges for a New Era of Obesity Treatment“ (September 2023) von BMO Capital Markets

  • Rudi Van Den Eynde
    Rudi Van Den Eynde
    Head of Thematic Global Equity Management
  • Antoine Hamoir, CFA
    Senior Fund Manager / Senior Equity Analyst Health Care & Consumer

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