Europäische Aktien: Growth- vs. Value, Kapitel 2: Schleudertrauma!

Ein außergewöhnliches Jahr 2020

Wie bereits im Mai 2020 berichtet, musste der Markt nach der außergewöhnlichen Outperformance der Quality- und Growth-Aktien im 1. Halbjahr 2020 einige Übertreibungen  korrigieren. Vor allem die Performance- und Bewertungsdifferenzen zwischen den verschiedenen Anlagestilen mussten ausgeglichen werden.

Bei der Analyse der Grafik ist zu bedenken, was Growth und Value bedeuten.

  • Growth-Aktien, die in der Regel ein überdurchschnittlich hohes Gewinnwachstum verzeichnen, werden meistens zu höheren Bewertungen gehandelt. Der MSCI© Europe Growth Index, der 50 Prozent der Marktkapitalisierung des MSCI© Europe darstellt, wird anhand einer Faktoranalyse des künftigen lang- und kurzfristigen Gewinnwachstums je Aktie, des aktuellen Wachstums und des langfristigen historischen Gewinnwachstums je Aktie sowie des Umsatzwachstums bestimmt.
  • Value-Aktien, die in der Regel einen niedrigeren Preis in Bezug auf Gewinn oder Vermögenswerte aufweisen, werden für den MSCI© Europe Value Index anhand eines Faktormodells auf der Basis von Buchwert/Kurs-Verhältnis, künftigem Kurs-Gewinn-Verhältnis und Dividendenrendite definiert.

 

Einfache Logik und unserere quantitativen Überwachungsinstrumente deuteten unsere, dass diese Lage früher oder später zu einem Pendeleffekt führen musste. Außerdem spürten unsere Analysten die gleichen Extremwerte in ihren Bewertungsmodellen.

Diese Erwartungen bewahrheiteten sich ab November 2020, als die Nachrichten über die Impfstoffe die Märkte beruhigten und sich ein Ende der Krise abzeichnete.

An den Finanzmärkten wird nun überall von Normalisierung gesprochen. Das belegt vor allem die Neupositionierung der amerikanischen und europäischen Zinskurven.

Die Hoffnung auf wirtschaftliche Normalisierung beschleunigt die aktuelle Rotation von Growth-Aktien zu Value-Aktien, wobei Rohstoffe und zinssensitive Sektoren an der Spitze stehen. Dazu gehören Ölpapiere, die eine Zeit lang starke Abschläge hinnehmen mussten, und Finanztitel, vor allem Banken, die stark unter der Pandemie litten.

Kumulierte 1-Jahres-Überrendite vs. MSCI Europe (%)

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Kumulierte 10-Jahres-Überrendite vs. MSCI Europe (%)

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Quelle: Candriam. Bloomberg. Value = MSCI© Europe Value Net Return EUR; Growth = MSCI© Europe Growth Net Return EUR.

Vergangene Wertentwicklungen eines bestimmten Finanzinstruments oder Index sind keine zuverlässigen Indikatoren für zukünftige Wertentwicklungen

Was nun?

In den letzten Jahren – 2009, 2013 und 2016 – dauerten alle Rotationen in Richtung Value höchstens sechs Monate.

Sechs Monate genügten, um nach einer deutlichen Outperformance von Quality bzw. Growth die Unterschiede zwischen den Bewertungen und der relativen Performance zu korrigieren. März 2020 war an den Finanzmärkten ein besonders gefährlicher Monat. Die Anleger flüchteten sich in die sichersten Unternehmen, die am besten kapitalisierten, am effektivsten geführten, rentabelsten und vielversprechendsten, meistens jene mit den überzeugendsten Wettbewerbsvorteilen. Einige Qualitätssektoren profitierten wegen ihrer Prognostizierbarkeit und ihres Status als Begünstigte der Gesundheitskrise von der Pandemie. Dazu zählten medizinische Geräte und Technologie. Die Angst löste übertriebene Kapitalflüsse aus, die ab November 2020 wieder anfingen, abzufließen. Diese Rotation dauert nun schon fünf Monate.

Wenn wir den Mustern und vor allem unseren Überwachungsinstrumenten und Bewertungsmodellen glauben, stehen wir vor dem Ende der Rotation. Zwei Drittel dieser Marktphase dürften bereits hinter uns liegen. Was in den kommenden Wochen passiert, hängt davon ab, ob die langfristigen Zinsen in den USA auf oder gar über 2 %, in Europa über -0,2 % und in Deutschland sogar über 0 % steigen.

Das Timing der Märkte ist immer schwierig. Das Ende der Rotation hängt auch vom Versiegen der Neupositionierungs-Zuflüsse der institutionellen Anleger ab, deren Portfolios 2020 und sogar früher zu Recht deutlich auf Quality-Papiere ausgerichtet waren. Diese Kapitalflüsse könnten die Rotation vorübergehend über den Gleichgewichtspunkt hinaus verlängern.

Unseres Erachtens dürften rentable Growth- und Quality-Aktien auf lange Sicht überdurchschnittlich gut abschneiden. In unserem Artikel vom Mai 2020 erwähnten wir die Wahrscheinlichkeit einer Rotation und prognostizierten, dass sie voraussichtlich nur kurz dauern würde.

Die Value-Aktien, die derzeit aus der Stil-Rotation Nutzen ziehen, können nur dominieren, sofern das Wirtschaftswachstum über die haushalts- und geldpolitischen Konjunkturpakete hinaus anzieht. Angesichts des Ausmaßes der Haushaltsdefizite und Staatsschulden weltweit, insbesondere in Amerika und Europa, ist die Beschleunigung natürlich nicht unser Hauptszenario. Nach der Konjunkturförderung rechnen wir mit Haushaltseinsparungen und der Rückkehr des Deflationstrends. Vor diesem Hintergrund sind nur Unternehmen, die ihr eigenes rentables Wachstum sicherstellen können, in der Lage, ihren Wert trotz der stagnierenden Wirtschaft zu erhöhen. Damit sollte langfristige Aktienperformance verbunden sein.

Der neue Kontext schafft neue Chancen. Unsere Positionierung begünstigt in den nächsten Monaten erneut den Growth- und Quality-Anlagestil, weil sie auf attraktivere Bewertungen setzt. Wir suchen nach Wirtschaftssegmenten, die in den kommenden Jahren aufgrund der neuen Vorschriften, ob im Bereich ESG und aufgrund von innovation wachsen.

  • Geoffroy Goenen
    Geoffroy Goenen
    Head of Fundamental European Equity Management
EQUITIES

Europäische Aktien: Growth- vs. Value: Schleudertrauma!

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